„In einem Städtchen im einsamen Norden Finnlands, 1996. Lahja liegt auf dem Totenbett. Sie kann zurückblicken auf ein langes Leben, in dem sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen konnte: das Fotografieren. Aber eines war ihr nicht vergönnt: körperliche Erfüllung.
Ihr treu sorgender Ehemann Onni konnte ihr nicht geben, wonach sie sich sehnte – bis sie sich nach Jahren der unterdrückten Gefühle zu einer grausamen Tat hinreißen ließ. Nie hat sie darüber gesprochen, nie konnte ihr jemand vergeben. Erst nach ihrem Tod findet ihre Schwiegertochter Kaarina auf dem Dachboden einen Brief, der die entsetzliche Wahrheit ans Licht bringt. Er erzählt von einer Familientragödie, die ihre Schatten auf Kaarinas eigenes Leben geworfen haben – aber schon fast hundert Jahre zuvor mit Lahjas Mutter Maria ihren Anfang genommen hat“.
So lautet der Buchklappentext des auf Finnisch "Neljäntienristeys“ (2014) lautenden und sehr weite Verbreitung findenden Debütromans Tommi Kinnunens. Kinnunen konfrontiert seine Leser mit scheinbar „heilen“ Lebenswelten. Maria ist glücklich, „dass sie sich an keinen Mann gebunden, aber dennoch ein Kind bekommen hat“. Aber ihr Beruf als Hebamme wirft auch seine Schatten: je älter sie wurde, um so mehr hat Maria „die Weltordnung kritisiert“. Sie hatte auch gegenüber Gottes Anweisungen, „die Welt zu bevölkern“, „nicht genügend Demut bewiesen“. Maria hatte auch etwa in Zeitungsartikeln „die Frauen aufgefordert, die Erfüllung ihrer ehelichen Pflichten selbst zu regulieren“. Sie gab zu bedenken, dass Ehefrauen im Falle von „ungewollten Schwangerschaften“ auch unter den Pflanzen im eigenen Garten „Hilfe“ erhalten könnten.
Kinnunen hat die inhaltlichen Handlungen „disparat“ aufbereitet, die sich in den vier Hauptabschnitten zu verlieren scheinen. Die biografischen Inhalte der handelnden Personen Maria, Lahja, Kaarina und Onni in den vier „Zeitzonen“ von 1895 bis1996 sind komplex verwoben, und menschliche Stärken und Schwächen kontrastieren das Erzählkolorit.
Zahlreiche Handlungsstränge, die unter anderem bis zum „Lapplandkrieg“ (1944/1945) zurückreichen, durchfließen den Roman, als im Jahre 1957 in Lahja Löytövaara, deren Ehemann Onni in Oulu todkrank aus dem Krankenhaus entlassen wird, ein teuflischer Plan reift. Maria „geht in den Kesselraum und schiebt die schwere Tür zu. Jetzt weiß sie, was sie zu tun hat“.
Autor Tommi Kinnunen hat es genial verstanden, in den vielen komplexen Handlungssträngen kein Geschehnis doppelt zu schildern!
Es ist auch das Verdienst der Finnougristin und Slawistin Dr. phil. Angela Plöger, den Roman kunstvoll übersetzt zu haben.
Tommi Kinnunen: Wege, die sich kreuzen. Roman, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018, ISBN 978-3-421-04771-7, 332 S., 20,00 Euro. Eine Rezension aus der Deutsch-Finnischen Rundschau 177 von Dr. Michael Peters.
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