Herbst in Finnland – wer denkt da nicht an kalten Wind, morgendlichen Reif auf den Autoscheiben und mit der Zeit auch die ersten Schneeflocken? In diesem Jahr sah es zu Beginn des Oktobers allerdings ganz anders aus. Am vergangenen Mittwoch kletterte das Thermometer in vielen südfinnischen Städten bis auf 17 Grad, im Norden war es mit 5–9 Grad etwas kühler. Auch am Wochenende kratzten die Temperaturen am letzten Rekord, der nach Angaben von
Yle im Jahr 1985 erreicht wurde. Damals zeigten die Messungen in Helsinki am 2. Oktober 19,4 Grad.
Vor dem Herbst der Sommer
Eigentlich dürften die hohen Temperaturen nicht überraschen, denn auch der Sommer war in Finnland in diesem Jahr ungewöhnlich warm. Mai und Juli waren die heißesten Monate seit Beginn der Messungen. In Lappland war es im Juli mit 33,4 Grad genauso warm wie zur gleichen Zeit in Rom, und im gesamten Sommer maß das
Finnische Meteorologische Institut 64 Hitzetage, davon 27 allein im Juli. Als Hitzetag gilt jeder Tag, an dem die Höchsttemperatur 25 Grad überschreitet.
Nach Angaben des IPCC und des Finnischen Meteorologischen Instituts ist in Finnland bis 2050 ein weiterer Anstieg der Durchschnittstemperatur von ein bis zwei Grad zu erwarten – zusätzlich zu der Erwärmung um zwei Grad seit Beginn des Industriezeitalters. Rekordverdächtige Temperaturen könnten in Zukunft noch häufiger auftreten, denn die Wahrscheinlichkeit für längere Hitzeperioden in Finnland steigt mit der Klimaerwärmung. Auch die übrigen Jahreszeiten sind betroffen: In Aussicht stehen wärmere Winter und deutlich mehr Regen.
Erhitzte Seen
Während die hohen Temperaturen viele Menschen zum Baden ans Wasser lockten, ging es den dort lebenden Tieren weniger gut. Im Pyhäjärvi im südfinnischen Vesilahti wurden im Juli zahlreiche tote Fische gefunden, vor allem junge Barsche. Das Fischsterben sei vermutlich auf die lang anhaltende Hitze zurückzuführen, so die Wasserwirtschaftsexpertin Anne Mänkynen vom Zentrum für Gewerbe, Verkehr und Umwelt (ELY) gegenüber
Yle. Durch die steigende Wassertemperatur sinke der Sauerstoffgehalt, was bei den Fischen zu Stress und schließlich zum Tod führe. In der Folge seien Dutzende Fische mit dem Kopf nach unten im Wasser getrieben. Im Enäjärvi im südfinnischen Vihti waren es wiederum die Muscheln, denen die Hitze besonders zusetzte. Tausende tote Muscheln, manche von der Größe einer menschlichen Faust, trieben im Juli an der Wasseroberfläche. Die Anwohner säuberten den See und Strand mit Keschern, hoben am Ufer Gruben aus und schütteten die Muscheln hinein, um dem Gestank entgegenzuwirken. Auslöser für das Massensterben waren auch hier vermutlich die anhaltend hohen Temperaturen, die Sauerstoffschwund, einen vermehrten Wuchs von Blaualgen und den Anstieg des pH-Werts zur Folge hatten. Nach Angaben der
Organisation für Wasser und Umwelt im westlichen Uusimaa hatte sich der bereits länger bedenkliche Zustand des Enäjärvis in den letzten Jahren durch unterschiedliche Maßnahmen zwar deutlich verbessert. Für die diesjährige Hitze war das Gewässer jedoch offenbar nicht gewappnet.
Waldbrände im Norden
Lappland hatte während des Sommers vor allem mit Feuern zu kämpfen. Im Juli überschritten Waldbrände vom russischen Gebiet aus die Grenze nahe des Übergangs
Raja-Jooseppi, der zeitweise für den Verkehr gesperrt wurde. Der Grenzschutz Lapplands schickte neben seinen Patrouillen einen Trupp Soldaten sowie einen Helikopter zur Bekämpfung der Flammen aus, die zu einer gut 300 Meter breiten Front angewachsen waren, und postete
Bilder der
Brände auf Twitter. In den angrenzenden Gebieten litten die Menschen unter der starken Rauchentwicklung und in Rovaniemi bedrohten das Feuer einzelne Häuser. Bei
Kittilä in Nordlappland verbrannten mehr als 20 Hektar Land, als ein bereits gelöschtes Feuer wieder aufloderte, und in
Tervola im Süden hatte die Feuerwehr über mehrere Tage mit einem Brand zu kämpfen, der sich tief ins Unterholz eingegraben hatte. Aufgrund der Trockenheit war zeitweise jedes offene Feuer in den Wäldern verboten, außerdem wurde von solchen Arbeiten abgeraten, bei denen Funken fliegen könnten. Für einen Teil der Brände waren aber nach Angaben des
Rettungsverband Lapplands auch glühende Zigaretten verantwortlich, die an den Straßenrand geworfen wurden.
Finnische Wassermelonen
Für die Landwirtschaft war es ein gespaltener Sommer. Der Getreideanbau litt besonders unter den diesjährigen Wetterbedingungen – im Juli etwa sagte das Institut für Naturresourcen Luke den niedrigsten Getreideertrag seit der Jahrtausendwende voraus. Schneelose Winter, Trockenheit im Frühling und Starkregen im Sommer seien dabei die drei Phänomene, die den Bauern am meisten zu schaffen machen, wie Liisa Pietola vom Zentralverband der Landwirtschaft MTK im August gegenüber
Helsingin Sanomat erklärte. Am stärksten betroffen sei die einheimische Nahrungsproduktion. Um zu verhindern, dass Klimaveränderungen ganze Ernten zunichtemachten, müsse in die Diversität der angebauten Sorten investiert werden, denn auch auf Importe aus dem Ausland könne Finnland sich auf lange Sicht nicht verlassen – schließlich betreffe der Klimawandel auch die umliegenden Länder.
Höhere Temperaturen und damit längere Wachstumsphasen haben bei anderen Pflanzen jedoch für eine reiche Ernte gesorgt. In Laitila etwa konnte sich Landwirt Kristian Mikola in den vergangenen Monaten über eine Rekordmenge an Wassermelonen freuen. „Wir konnten schon im Juli mit der Ernte beginnen und haben einen Großteil vom Feld geholt“, erklärte er im August im Gespräch mit
Helsingin Sanomat. Neben den Wassermelonen hat der Rekordsommer auch andere Pflanzen nach draußen gelockt, die für gewöhnlich nur im Gewächshaus gepflanzt werden. Dazu zählen etwa Tomaten, Paprika, Auberginen und Weinreben. Nach Einschätzung des Forschers Terhi Suojala-Ahlfors von Luke werden der Anstieg der Durchschnittstemperaturen und die Verlängerung der Wachstumsperiode dafür sorgen, dass sich auf Finnlands Feldern in Zukunft eine immer größere Auswahl an Pflanzen heimisch fühlt.
Unsichere Zukunftsaussichten
Die Klimaveränderungen haben allen Erwartungen nach weitreichende Folgen für das Leben der Menschen in Finnland. Nach einer
internationalen Studie wird auch in Finnland die Zahl der Menschen steigen, die als Folge von hohen Temperaturen sterben. Besonders gefährdet sind alte Menschen und Kinder, aber auch Patienten, die an chronischen Herz- oder Gefäßkrankheiten leiden. Die Zahl von Ertrinkungs- und Arbeitsunfällen könnte ebenfalls zunehmen. Professor Jouni Jaakkola von der Universität Oulu, der an der Studie mitwirkte, wies im August im Gespräch mit
Helsingin Sanomat jedoch auch darauf hin, dass sich das Problem kontrollieren lasse, wenn der Klimawandel eingedämmt und auf seine Folgen richtig reagiert werde. Helfen könnten beispielsweise auf Wetterdaten beruhende Warnsysteme und öffentlich zugängliche, kühle Aufenthaltsorte: Im August öffnete beispielsweise ein
Helsinkier Supermarkt seine Kühlabteilung für etwa hundert Menschen, die dort einen Schlafplatz für die Nacht fanden, und im südwestfinnischen Säkylä und Somero wurde eine
Eissporthalle zum Übernachtungsplatz umfunktioniert.
Auch der Baustil von finnischen Häusern muss möglicherweise überdacht werden, denn bisher sind vor allem ältere Gebäude unzureichend mit Lüftungen ausgestattet und eher darauf ausgerichtet, Wärme zu speichern und Kälte abzuhalten. Hinzu kommt die Gefahr durch Stürme und Hochwasser – in Helsinki ist etwa der Neubau von Gebäuden nur noch ab einer Höhe von drei Metern über dem Meeresspiegel zulässig. Zur Ableitung von anfallendem Niederschlagswasser sind zudem neue Maßnahmen geplant, um die bestehenden Strukturen bei Starkregen zu entlasten und zu verhindern, dass Straßen und Keller überflutet werden.
Vorsichtiger Optimismus
Mikael Hildén vom finnischen Umweltzentrum Syke ist jedoch überzeugt, dass Finnland vergleichsweise gut auf die kommenden Entwicklungen vorbereitet ist. „In den letzten Jahren hat sich die Situation deutlich gebessert. Die Behörden sind sich der Probleme schon länger bewusst, und nun widmen auch die Unternehmen dem Thema mehr Aufmerksamkeit. Die Folgen des Klimawandels lassen sich nicht mehr auslagern. Stattdessen müssen fast alle Branchen überlegen, wie sie mit ihnen umgehen“, erklärte er im August gegenüber
Helsingin Sanomat. „Alles in allem sind wir im Vergleich zu anderen Ländern noch in einer günstigen Situation.“
Wie in den übrigen nordischen Ländern wechselt auch das Wetter in Finnland schnell. Der nächste Sommer könnte also schon ganz anders aussehen. Allgemein ist es schwer, einzelne Wetterphänomene mit dem globalen Klimawandel in Verbindung zu bringen. Ein Trend ist jedoch auch für Finnland erkennbar – und die Erfahrungen und darauf aufbauenden Entscheidungen von heute tragen wesentlich dazu bei, wie gut das Land für die Zukunft vorbereitet sein wird.
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