Finnland gilt im Allgemeinen als vorbildliches Land, vor allem, was die Sorge für Familien angeht. Dienstleistungen wie das in den 1930er-Jahren eingeführte Mutterschaftspaket und das seit den 1940er-Jahren geltende Recht auf ein kostenloses Schulmittagessen haben zur Entwicklung des Landes beigetragen und werden immer wieder als Beispiele für einen gelungenen Wohlfahrtsstaat zitiert.
Verschiedene Organisationen machen jetzt jedoch auf einen beunruhigenden Trend aufmerksam. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich auch in Finnland weiter geöffnet, wovon besonders Familien mit Kindern betroffen sind. Nach Angaben der finnischen Zweigstelle von
Safe the Children sind in Finnland rund 15 Prozent der Kinder von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Die Organisation verzeichnete in letzter Zeit einen Anstieg in der Zahl der Hilfegesuche von Familien, vor allem von alleinerziehenden, erkrankten und arbeitslosen Eltern. Überdurchschnittlich vertreten seien auch Immigranten, deren Kinder oft große Verantwortung bei der Unterstützung ihrer Familien übernehmen müssten. Kinder aus armen Familien hätten zudem weniger Möglichkeiten, eine von ihnen gewünschte Ausbildung anzustreben oder ihren Hobbys nachzugehen. In einer
Umfrage der Organisation gaben im Herbst 13 Prozent der Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren an, dass die finanzielle Situation ihrer Familie negative Auswirkungen auf ihren Schulbesuch habe. In derselben Umfrage berichten viele von Erfahrungen mit Mobbing und Ausgrenzung, mit denen Lehrer oft nicht umzugehen wüssten.
Neben dem sozialen Leben der Kinder beeinflusst die finanzielle Situation der Familie aber auch die Strukturen, in denen sie leben. So sieht die Programmleiterin von Safe the Children Finland Riitta Hyytinen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Armut und sozialer Ausgrenzung. Wohngebiete und Schulen teilten sich mit der Zeit nach sozialen Schichten auf, sodass der Freundeskreis der Kinder eingeschränkt werde und die Gefahr von generationenübergreifender Armut steige.
Dass die Armut zumindest in Teilen der Bevölkerung ein andauerndes Problem darstellt, ist für Johanna Lehmusmies von der finnischen Diakonie keine Frage. Viele Familien hätten sich nie von der Krise der 1990er-Jahre erholt, erklärt sie gegenüber
Yle. In der Folge sei es ihnen seit Jahrzehnten nicht möglich gewesen, wieder auf die Beine zu kommen, und einige Familien verfolge die Armut schon seit zwei oder drei Generationen. Auch die viel kritisierten Beschneidungen der Sozialleistungen hätten diese Familien besonders hart getroffen.
Safe the Children Finland fordert nun, die aus der Umfrage hervorgegangenen Probleme während der nächsten Legislaturperiode stärker in die Familienpolitik einzubeziehen. Schulen und Gemeinden müssten dabei unterstützt werden, das Thema offen anzugehen und die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu garantieren.
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