„Ich rede gerne, aber ich habe niemanden, dem ich meine Meinung zu Dingen kundtun kann. Mein Hund hört mir zu, aber antworten kann er nicht.“ – „Im Alltag fühle ich mich eigentlich nicht oft einsam, aber der Gedanke, dass ich bis an mein Lebensende allein bleibe und keinen Partner finde, macht mir Angst und bedrückt mich.“ – „Das ständige Alleinsein hat mich auf eine Art verändert, die ich nicht wirklich beschreiben kann. Hoffnungslos ist ein zu starkes Wort, aber vielleicht entmutigt. Ich denke mir oft, dass ich mich verschwende, obwohl ich doch einiges zu bieten habe.“
So beschrieben in einem
Artikel in Helsingin Sanomat verschiedene Personen kürzlich ihre Erfahrungen mit dem Alleinsein. Mit diesen Erlebnissen sind sie keine Einzelfälle – in Finnland leben mehr als eine Million Menschen alleine, also ohne Partner, Kinder, Mitbewohner oder Freunde. Bei einer Einwohnerzahl von 5,5 Millionen ist das fast jeder Fünfte und mehr als doppelt so viele wie noch in den 1980er-Jahren. 43 Prozent aller Haushalte sind heute Einpersonenhaushalte. Europaweit belegt Finnland damit den vierten Platz und liegt direkt vor Deutschland mit
41 Prozent. Der europäische Durchschntt liegt derweil um zehn Prozentpunkte tiefer.
Dass ein Mensch alleine wohnt, muss allerdings noch nicht heißen, dass er auch einsam ist. Einige allein lebende Menschen haben sogar einen größeren Bekanntenkreis als diejenigen, die in einer Beziehung oder Ehe leben. Professor Osmo Kontula vom Bevölkerungsverbund Väestöliitto gibt jedoch zu bedenken, dass diese Menschen in Befragungen deutlich häufiger angeben, sich einsam zu fühlen. „Alleine zu leben erzeugt keine Einsamkeit, erhöht aber das Risiko“, so Kontula gegenüber
Helsingin Sanomat. Zur Einsamkeit gesellten sich oft Zukunftsängste, Depressionen, Isolation, Antriebslosigkeit und Angst vor sozialen Situationen. „Das Gefühl, dass man von niemandem vermisst wird, spricht von echter Isolation.“
Auch unter Kindern und Jugendlichen ist Einsamkeit keine Seltenheit, wie die Dozentin für Erziehungspsychologie Niina Junttila beobachtet. Sie beschäftigt sich seit beinahe zwei Jahrzehnten mit dem Thema. „Einsamkeit beginnt bereits früh im häuslichen Umfeld“, erklärt Junttila gegenüber
Helsingin Sanomat. „Das Kind zieht sich dann entweder zurück und wird stiller oder bemüht sich so sehr um Freunde, dass es sogar bereit ist, andere für ihre Gesellschaft zu bestechen.“ Für Eltern sei es mitunter schwer, das Problem zu erkennen, weil Kinder ihre Gefühle noch nicht in Worte fassen könnten. Auch Aggressivität und das Schikanieren anderer Kinder könne von einem Kind ausgehen, das sich einsam und unbeachtet fühle. Besonders verbreitet sei Einsamkeit unter Jugendlichen: Fast ein Fünftel aller 15-jährigen fühle sich immer oder sehr oft einsam.
Besonders problematisch kann Einsamkeit für arbeitslose oder geringverdienende Menschen werden, da sie bei ihnen laut Emma Terämä vom finnischen Umweltinstitut Syke häufiger mit gesundheitlichen Problemen einhergehe. Terämä erinnert jedoch auch daran, dass es sich bei den allein lebenden Menschen nicht um eine homogene Gruppe handelt und dass sie im Durchschnitt nicht schlechter verdienen als andere Gruppen. Dass die Menschen sich überhaupt für ein Leben alleine entscheiden könnten, sei ein Zeichen von steigendem Wohlstand und gesellschaftlichem Wandel. Beziehungen und Familiengründung liefen heute einfach anders ab als noch vor einigen Jahrzehnten: Paare warteten länger, bis sie die erste gemeinsame Wohnung bezögen, und Trennungen seien einfacher zu realisieren. Kontula erinnert schließlich daran, dass Gefühle von Einsamkeit auch von den eigenen und den gesellschaftlichen Vorstellungen eines idealen Lebens verstärkt werden können. Wenn der Trend zur Einzelwohnung anhält, sehen diese Vorstellungen vielleicht in einigen Jahrzehnten schon ganz anders aus.
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