Finnlands neue Lehrmethoden
Mit welchen Unterrichtsmodellen lernen Kinder am besten? Welche Methode wird möglichst vielen unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht? Finnische Schulen erproben schon seit einiger Zeit ihre Möglichkeiten.
von MoinMoiNews , 06.12.2018 — 0 Kommentare
Über Finnlands
Schulen und Lehrmethoden wurde in Deutschland zuletzt zu Beginn der
2000er-Jahre gesprochen. Mit den sinkenden PISA-Ergebnissen ist
dieses Interesse von außen gesunken, doch das bedeutet nicht, dass
die Finnen selbst nicht auf der Suche nach neuen Wegen wären, ihre
Schulen und Universitäten zu gestalten.
Am Institut für
angewandte Physik an der Universität Ostfinnlands verwendet man
beispielsweise eine flippaus genannte Lehrmethode, die von im
englischsprachigen Raum als flipped learning und
flipped classroom bezeichneten Modellen inspiriert ist.
Die Idee dabei ist, dass die Studierenden nicht von den Lehrenden an
die Inhalte herangeführt werden, sondern sich zunächst selbst
unterrichten. Am Institut in Ostfinnland sieht das konkret so aus,
dass der Dozent oder die Dozentin ein kurzes Video zu einem Kurs zur
Verfügung stellt, das dessen Kernpunkte erklärt. Die Studierenden
gehen nach dieser Einführung das angegebene Kursmaterial durch und
erledigen vorbereitende Aufgaben. Wenn sie dann zur eigentlichen
Vorlesung kommen, sind sie so schon mit dem Thema vertraut und der
Dozent oder die Dozentin kann direkt an ihr Wissen anschließen und
auf mögliche Schwächen eingehen.
Auch
an Schulen kommen neue Lehrmethoden zum Einsatz. In
Vantaa nördlich von Helsinki unterrichtet Klassenlehrer Markus
Humaloja seine Schülerinnen und Schüler nach
einem von ihm entwickelten Lehrplan. Statt strikter Trennung zwischen
den Unterrichtsfächern kommt ein Wochenplan zum Einsatz, den
Humaloja zusammen mit den Kindern ausarbeitet. Der Plan legt die
Lernziele für die jeweilige Woche fest, lässt den Schülerinnen und
Schülern aber die Freiheit, selbst zu entscheiden, in welcher
Reihenfolge sie sich diesen Zielen widmen. Auch
hat Humaloja den größten Teil des Frontalunterrichts gegen Gruppen-
oder Einzelarbeit eingetauscht, bei der er die Kinder unterstützt.
Mit solchen neuen Methoden hoffen die
Lehrenden, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder besser
gerecht zu werden und ihnen den Druck zu nehmen, immer alles lernen
zu müssen. Die Grundlagen sind nach wie vor Voraussetzung, aber
jedes Kind kann darüber hinaus entscheiden, wie intensiv es sich mit
dem Thema auseinandersetzen will.
Die Anwendung von
Methoden wie flipped learning an Schulen hat jedoch
auch für Kritik gesorgt. Eltern befürchten, dass ihre Kinder im
Unterricht zu wenig Unterstützung erfahren, und einige Schülerinnen
und Schüler erleben die Eigenverantwortung, welche die neuen
Methoden mit sich bringen, eher als Belastung. Zu Problemen führt
dies vor allem in den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften
sowie bei Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund oder
geringem Einkommen, Kindern von Alleinerziehenden sowie solchen
Kindern, die dem Unterricht oft fernbleiben, wie eine Studie der
Forscherin Aino
Saarinen zeigt. Auch die Spezialistin für Kinder- und
Jugendpsychiatrie Linnea
Karlsson erinnert daran, dass sich das Gehirn bei Kindern und
Jugendlichen erst noch entwickeln muss – und das teilweise bis in
die frühen Zwanziger hinein. Erst dann seien die entscheidenden
Bereiche der Frontallappen voll ausgebildet, die den Umgang mit
Gefühlen und Zukunftsplänen steuerten. Viele Jugendliche bräuchten
daher Unterstützung, um sich für Schulaufgaben zu motivieren. Neue
Lehrmethoden mit mehr Gewicht auf Eigenverantwortung, so befürchtet
Karlsson, könnten Schülerinnen und Schüler noch deutlicher in zwei
Gruppen teilen, von denen eine aufgrund der neuen Anforderungen im
Unterricht nicht mehr mithalten könne.
An den Universitäten
scheinen die neuen Methoden jedoch zu fruchten. Lektor Markku
Saarelainen vom Institut für Physik beobachtet einen deutlichen
Anstieg im Anteil der Studierenden, die etwa die schwierigen
Prüfungen im Bereich der theoretischen Phsyik bestehen. Vor allem
Studierende, die im alten System Schwierigkeiten gehabt hätten,
profitierten von der neuen Herangehensweise. Die eine Methode, die
für alle funktioniert, wollen aber auch die Vertreter des flippaus
nicht gefunden haben. „Es
gibt auch Menschen, die Frontalunterricht bevorzugen”, so
Forschungsdoktorand Erkko
Soinnu. „Nicht alles muss geflippt
werden. Am wichtigsten sind Vielfalt und Flexibilität.”
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