Die
finnischen Dialekte sind für Sprachenfans eine wahre Fundgrube. Wer sich mit ihnen beschäftigt, bekommt einen Eindruck von ihrer weit zurückreichenden Geschichte und dem schon lange währenden Spannungsverhältnis zwischen mündlichen Dialekten und schriftlicher Standardsprache. Dass es dem Thema auch an Aktualität nicht mangelt, zeigt der Fall des Studenten und Sprachaktivisten Jani Koskinen. Ende letzten Jahres reichte er an der Unversität Helsinki seine Masterarbeit ein, die er nahezu komplett in einer zum Dialektgebiet von Savo gehörenden Sprachform der nordkarelischen Orte Kitee und Rääkkylä geschrieben hatte. Koskinen selbst ist mit diesem Dialekt nicht aufgewachsen, sondern hat ihn erst als Erwachsener gelernt. Die Idee, ihn auch im akademischen Kontext zu gebrauchen, kam ihm während seines Studiums. Er habe sich zunächst für Sprachsoziologie und Minderheitssprachen im Allgemeinen interessiert und sich dann mit Bezug auf Dialekte gefragt, ob man diese ebenfalls als Minderheitensprachen betrachten und entsprechend schützen und fördern könne.
Im Dezember wurde seine Masterarbeit nach einigen Hürden an der Universität Helsinki angenommen. Die zuständige Prüfungskommission begründete ihre Entscheidung damit, dass in Koskinens Fall Thema und Sprache der Arbeit eine sinnvolle Einheit ergäben. Für eine Arbeit, die sich mit den Grenzen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache sowie zwischen Dialekt und Sprache beschäftige, biete sich der Dialekt als Sprachform an. Zu bemerken sei jedoch, dass die Arbeit damit von den etablierten akademischen Konventionen abweiche. Noch kritischer äußerte sich
Pirjo Hiidenmaa, die Dekanin der Humanistische Fakultät. Koskinens Arbeit sei ein Beispiel für kulturelle Aneignung, weil er einen ihm fremden Dialekt zur Verfolgung seiner eigenen Ziele verwende. Um den besonderen Sprachgebrauch zu rechtfertigen, müssten sich schon Begründungen innerhalb der Arbeit selbst finden. Hiidenmaa erinnerte außerdem daran, dass der von Koskinen verwendete Dialekt keine etablierte Schriftform habe und eine solche auch nicht von außerhalb der Sprechergemeinschaft kommen sollte. Seine Herangehensweise bedeute keine Emanzipation für die Sprecherinnen und Sprecher einer Minderheitensprache, sondern trage im Gegenteil eher kolonialistische Züge.
Die
Prüfungskommission sah das anders. Koskinens familiärer Hintergrund gebe ihm die Berechtigung, den Dialekt zu benutzen, und entkräftige den Vorwurf der kulturellen Aneignung. Auch der Vorsitzende der Gesellschaft für Savo
Seppo Kononen sprach Koskinen seine Unterstützung aus. Der Dialekt, den Koskinen verwende, unterscheide sich zwar davon, wie in Nord- und Süd-Savo gesprochen werde, doch das Dialektgebiet sei schließlich groß und reich an Variation. Dass eine Variante des Savodialekts es durch Koskinens Arbeit an die Universität geschafft habe, sei außerdem aus historischer Sicht interessant. Im 19. Jahrhundert habe sich nämlich der finnische Gelehrte Carl Axel Gottlund, der in seinen Schriften auf Savo geschrieben habe, wiederholt – und erfolglos – um den Posten des Professors für finnische Sprache an der Universität Helsinki beworben. Koskinen trete mit seiner Arbeit gewissermaßen in Gottlunds Fußstapfen.
Koskinen erklärte gegenüber
Yle, dass er erwartet habe, mit seiner Arbeit anzuecken. Den Vorwurf der kulturellen Aneignung könne er jedoch nicht verstehen. Er habe den Dialekt für seine Arbeit nicht zufällig ausgewählt, sondern aufgrund seiner persönlichen Kontakte in dem betreffenden Gebiet. Auch stammten seine Groß- und Urgroßeltern aus Ostfinnland.
In seiner
Bachelorarbeit hatte Koskinen vor einigen Jahren schon einmal demselben Dialekt verwendet. Mit seiner Arbeit hofft er, die Bemühungen um den Erhalt der Dialekte in Finnland zu unterstützen. Die Dialekte bräuchten einen gesicherten Stand neben der Standardsprache. Konkret könne dies zum Beispiel dadurch erreicht werden, dass die lokalen Dialekte in den Schulen gelehrt und auf Straßenschildern gebraucht würden.
Professor Marjatta Palander von der Universität Ostfinnland bremst diesen Enthusiasmus jedoch. Die Schriftsprache, die im akademischen Bereich gebraucht werde, erfülle ihre Aufgaben gut. Es gebe also keinen Grund, Abschlussarbeiten in einem mündlichen Register zu schreiben. Auch ließen sich die Dialekte nicht dadurch retten, dass man sie normiere und in schriftliche Formen zwänge. Dafür seien sie nicht zuletzt einfach zu wandelbar und lebendig.
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