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Finnisches Feuer


Ein Artikel der Doktorandin Emilia Lahti von der Aalto-Universität geht einem grundlegenden Konzept der kulturellen Identität Finnlands nach.

von MoinMoiNews , 18.04.2019 — 0 Kommentare

© Joshua Earle/Unsplash


Was ist sisu? Das kleine Wort ist vielen bekannt, die mit der finnischen Kultur vertraut sind, doch selbst den Finnen fällt es bisweilen schwer, Außenstehenden das dahinterstehende Konzept zu erklären. Die Doktorandin Emilia Lahti von der Aalto-Universität hat sich mit eben dieser Frage beschäftigt. In einer groß angelegten Untersuchung befragte sie online mehr als tausend Menschen zu ihrer Einstellung zum Konzept sisu. Lahti betritt damit Neuland, denn ihre Studie untersucht sisu zum ersten Mal systematisch und wissenschaftlich. Die Ergebnisse veröffentlichte sie kürzlich in einem englischsprachigen Artikel im International Journal of Wellbeing.

Lahti bat die Teilnehmenden, überwiegend finnische Frauen, in zwei offenen Fragen, das Wort sisu zu definieren und auch die Konsequenzen eines Übermaßes an sisu zu erklären. Die zweite Frage wurde nur solchen Teilnehmern gestellt, die in einer vorangegangenen Multiple-Choice-Frage bejaht hatten, dass eine Person auch zu viel sisu besitzen könne. Dies traf nur auf etwa die Hälfte der Interviewten zu, sodass Lahti in diesem Teil der Untersuchung deutlich weniger Antworten erhielt – diese waren allerdings umso interessanter. Die Antworten auf die ersten Fragen gruppierte Lahti anhand von drei Kernthemen, die das Konzept sisu in den Augen der Interviewten beschreiben: Durchhaltevermögen angesichts großer Widerstände mit besonderem Gewicht auf dem Überwinden der eigenen Grenzen, eine mutige Grundeinstellung, die zu Handlungsbereitschaft selbst unter prekären Umständen befähigt, und eine nahezu magische Energiereserve, die nur angesichts großer Widrigkeiten zugänglich wird. Bezeichnenderweise brachten die Interviewten sisu fast nie mit alltäglichen Hürden und Herausforderungen in Verbindung, was sich auch in ihrer Wortwahl zeigte. Begriffe wie vaikeus ’Strapaze’, epätoivon hetki ’Moment der Verzweiflung’ und taakka ’Bürde’ wurden viel häufiger verwendet als das positiver konnotierte Wort haaste ’Herausforderung’. Sisu, so die Antworten der Interviewten, sei die Fähigkeit, zu erreichen, was niemand für möglich gehalten hätte, das Weiterlaufen nach 35 Kilometern im Marathon, der Glaube an die eigene Stärke und an die Möglichkeit zu handeln. Besonders diejenigen Interviewten, die sisu als magische Kraft wahrnahmen, beschrieben das Konzept in bilhaften Worten. „Es ist wie der Unterschied zwischen Weißbrot und finnischem Roggenbrot“, zitiert Lahti eine der Antworten.

Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass sisu zwar Teil der finnischen Kultur ist, aber als universelles Konzept menschlichen Erlebens viel tiefer reicht. Es handele sich um eine latente Energie, die sich nicht in bewussten Anstrengungen oder seelischer Kraft erschöpfe, sondern den viszeralen, körperlichen Kern des Durchhaltens berühre. Vor allem in Finnland tendiere man dazu, sisu als kulturelles Konzept zu glorifizieren. Wichtig sei daher auch eine Reflexion der Grenzen dieser Kraft und der Nachteile ihrer Überbetonung. Viele der Interviewten waren sich einig, dass ein Übermaß an sisu sowohl der Person selbst als auch ihrem Umfeld und der Fähigkeit zum rationalen Denken schade. Wer die eigenen Grenzen ignoriere und Situationen falsch einschätze, werde herzlos und hart sich selbst und anderen Menschen gegenüber. „Sisu ist wie ein Feuer, das alles in seinem Weg verbrennen kann“, meint Lahti. Wer zu viel davon besitze, schäme sich möglicherweise sogar dafür, zu versagen oder um Hilfe zu bitten. Nötig seien daher Selbsterkenntnis und nicht zuletzt eine Kultur der Nachsichtigkeit, damit sich das Feuer des sisu nicht am Ende gegen den richte, der es zu nutzen gedenke.

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