In seinem zweiten Familienroman, der den Erstling Wege, die sich kreuzen mit anderen Personen als Hauptfiguren fortführt, interessiert Tommi Kinnunen wiederum das Fragile am Leben seiner Protagonisten im Umgang mit den Herausforderungen des Lebens. So erleben wir, wie sich die Figuren unterschiedlicher Generationen in den Widersprüchen zwischen den Vorstellungen von Tradition und von Wandel zu positionieren versuchen. Ihnen eingeschrieben ist zugleich eine Geschichte Finnlands vom Ende des Krieges bis zu den 2000er Jahren.
Es ist ein Roman der Ausbruchsversuche und Ausbrüche. Mit großer Darstellungskraft und hohem Einfühlungsvermögen konfrontiert uns der Autor im Wechsel der Sprechenden und Perspektiven mit den Gefühlen, Gedanken und Taten der Hauptakteure. Diese sind geprägt von Sehnsüchten, Ungewissheiten und Zweifeln an sich und den Verhältnissen. Die zentrale Frage des Romans lautet: Wie kann es gelingen, sich zu finden, ein Selbst auszubilden und sich selbst anzuerkennen gegen bleibende Ansprüche, Erwartungen, Normen, Tabus und Widerstände?
Es gibt keinen Schutz vor der Welt, also finde heraus, wer du bist. So lautet eine Erkenntnis im Roman. Gelingt es dem geächteten homosexuellen Onni, Vater und Ehemann, zu sich und seiner Frau stehen zu können oder wird es ihn zerreißen? Findet ihre musikbegeisterte, blinde und in die Hauptstadt abgeschobene Tochter Helena, die Risiken nicht scheuen will, ein erfüllendes Dasein? Wird sich ihr Neffe Tuomas gegenüber der latent vorhandenen Ächtung gegenüber seiner Andersartigkeit behaupten und letztlich durch viele Erprobungen von Gemeinschaft leben, so wie er es will? Wie verhalten sich Angehörige und Menschen, denen sie begegnen, dazu? Was bedeutet ihnen Herkunft?
Eine faszinierende Familientragödie, die mich als Lesenden anders sehend machte. Auch diesen Roman hat die Übersetzerin in ein nuanciertes, wortgewandtes und sinnliches Deutsch übertragen.
Tommi Kinnunen: Das Licht in deinen Augen. Lopotti. Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara. Penguin 2019. 365 S., ISBN 978-3-328-60078-7. 22 Euro. Eine Rezension in der Deutsch-Finnischen Rundschau 183 von Roland Bärwinkel.
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