Die schwedische Schriftstellerin Nina Wähä – sie lebt und arbeitet in Stockholm – macht sich zunächst als Schauspielerin und Sängerin der Indie-Pop-Band Lacrosse (um die es allerdings ruhig geworden ist) einen Namen, ehe sie sich dem Schreiben zuwendet. Das vorliegende Buch ist ihr dritter Roman, ein Familienepos, für das wir uns hier in der DFR interessieren, da es eben nicht nur um Schwedisches geht, sondern der Plot im Tornedal (Torniolaakso) im finnischen Lappland nahe der schwedischen Grenze spielt. Die Übersetzung aus dem Schwedischen verdankt sich Antje Rieck-Blankenburg, die schon Arne Dahl eine deutsche Stimme gegeben hat.
Es ist schon eine literarische Aufgabe, die Geschichte der 16-köpfigen Familie Toimi – das Elternpaar Siri und Pentti mit 14 Kindern, darunter zwei früh verstorbene – aus der wechselnden Perspektive aller Familienmitglieder zu erzählen, eine Aufgabe, die Wähä gelingend meistert. Trotzdem macht die große Zahl der zu Wort Kommenden die Erzählstränge an manchen Stellen etwas langatmig. Fast alle in dieser Familie versuchen sich zu befreien: aus der eigenen wie regionalen Geschichte, von der Last des Lebens auf dem alten Hof, von Verlusten und gestorbenen Sehnsüchten, aus Zuschreibungen und Schuld, aus Einsamkeit, Ängsten und Bedrohungen.
Die Wege dahin sind unterschiedlich – Flucht, Distanzierung, aber auch Identifikation mit der Heimat kommen vor. Natürlich gibt es unter den vielen Protagonistinnen und Protagonisten schwierige Charaktere, gibt es im Familienverbund dunkle Geheimnisse, gibt es Schicksalsschläge, Unfälle, Betrug und auch aggressive Gewalt. Der Vater, Pentti, zieht den Zorn der Familie auf sich, er, der Soldat war, scheint sich im Lauf seines Lebens zu verlieren, wird unleidlich und verschroben.
Die Kinder fliehen aus seiner Nähe – und doch kommen sie alle immer wieder zusammen, im Tornedal, getrieben von ihrer gemeinsamen Herkunft und mehr von Mutter Siris Liebe als von Penttis Wort.
Mit Pentti als Charakter scheint Wähä sich am schwersten zu tun. Der Autorin gelingt es, fast alle Akteure mit einem zugewandten Blick zu zeichnen – bei Pentti gibt es stellenweise das Gefühl, als sei er ihr aus dem Blick geraten. Bei Romanfiguren, die ja bekanntlich im Laufe des Schreibprozesses ihr Eigenleben entwickeln können, ist das allerdings vielleicht manchmal so.
Wähä leitet jedes Kapitel des umfangreichen Epos mit einigen Aussicht gebenden Sätzen ein – das strukturiert den Roman. Ein bisschen unmotiviert dagegen wirken englischsprachige Einsprenksel, Gedanken oder Headlights – sie lassen sich für Leserin und Leser nicht gut zuordnen. Insgesamt aber liefert Wähä ein vielversprechendes Lesevergnügen – die Abende werden ja wieder länger ...
Nina Wähä: Vaters Wort und Mutters Liebe. Aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburg. Heyne 2020. 544 Seiten. ISBN 978-3-453-27287-3, 22 Euro.
Eine Rezension in der Deutsch-Finnischen Rundschau 186 von Jessika Kuehn-Velten.
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