„Ottos Spur“ ist ein überaus lesenswertes, historisch fundiertes und exakt recherchiertes Geschichtsbuch, in dessen Mittelpunkt mit Otto Tuomi (1869-1930) eine reale Person steht. Aufwendig und detailreich wird ein lebendiges Bild der kulturellen, politischen und sozialen Veränderungen in Finnlands „Goldenem Zeitalter“ (ca. 1880-1910) gezeichnet.
Anhand Otto Tuomis Biografie rekonstruiert Wegner jene Zeit, in der sich „ein hoffnungslos rückständiges Land seinen Weg in die Zukunft bahnt … [und] gleichsam aus dem Nichts … eine Nation erfindet“. Der Schlüssel hierzu liegt in der konsequenten „Alphabetisierung der Bevölkerung“. Schulen werden zu „Anstalten des sozialen Aufstiegs“ und mit zunehmender Bildung wuchs auch das Informationsbedürfnis der Bevölkerung und der Anspruch nach Mitgestaltung der Gesellschaft.
Otto Tuomi war einer der Ersten, die regulär eine öffentliche, vierjährige Volksschule besuchen durften. Aufgewachsen in Iisalmi brach er 13-jährig nach Kuopio auf, wo er die Handelsschule besuchte und seinen Lese- und Bildungshunger in der 1872 gegründeten Stadtbibliothek Kuopio stillte. Kuopio mit seinen 8000 Einwohnern wurde Ende des 19. Jahrhunderts dank Snellman, Minna Canth und den Brofeldt-Brüdern – neben Helsinki, Turku und Wyborg – zu einem „kulturellen Biotop“ und „Zentrum des literarischen Aufbruchs“. In diesem Umfeld arbeitete Otto Tuomi als Zeitungsredakteur, war schriftstellerisch tätig und zog schließlich als Abgeordneter des bürgerlichen Standes in den letzten nach alter Ständeordnung gewählten Landtag ein. Er war befreundet mit Minna Canth und hatte ein Verhältnis mit Hilma Räsänen, einer der ersten finnischen Parlamentarierinnen.
Es ist erstaunlich, welche Fülle an Themen der Autor nicht nur anschneidet, sondern verständlich und in ihrem historischen Kontext erklärt. Geschildert werden u.a. die Lebensumstände auf dem Lande ebenso wie die überraschend modernen Wohnverhältnisse im Helsinki der Jahrhundertwende, die Entwicklung des Reisens und des Postwesens und die Lebensreformbewegung.
Welch ein Glück, dass der Karton „voller hundert Jahre alter Privatbriefe, Tagebücher und Manuskripte“, auf denen dieses Buch basiert, ausgerechnet mit Bernd Wegner, Professor (em.) für Neuere Geschichte in Hamburg, einem ausgewiesenen Kenner der finnischen Geschichte in die Hände fiel. Dank gebührt ebenfalls dem Heiner-Labonde-Verlag, der sich seit 2003 mit herausragenden Romanen, Gedichtbändchen und Sachbüchern rund um Finnland einen Namen gemacht hat.
Bernd Wegner: Ottos Spur. Streifzüge durch die Kulturgeschichte Finnlands im ›goldenen Zeitalter‹. Heiner Labonde Verlag 2019. 221 S.
Anke Michler-Janhunen