Wenn sich heutzutage junge Studierende in den Bachelor oder Master für das Studium der finnischen Sprache und Kultur an der
Universität Greifswald einschreiben, dann tun sie das in der Regel wegen der hervorragenden Ausbildungsbedingungen, den umfangreichen berufspraktischen und kulturellen Angeboten und den vielfältigen Möglichkeiten zur internationalen Vernetzung.
Weniger relevant dürfte für gewöhnlich die lange Tradition der finnlandkundlichen Forschung und Ausbildung an der Greifswalder Universität sein, die zwischen 1648 und 1806 auch gleichzeitig die älteste Universität Schweden-Finnlands war. In diesem Jahr gibt es jedoch einen ganz besonderen Anlass, auch die Geschichte der Fennistik stärker in den Mittelpunkt zu rücken: Vor genau 100 Jahren wurde hier das erste Finnischlektorat im gesamten deutschsprachigen Raum eingerichtet.
Seit 2018 die neue Heimstatt der Greifswalder Fennistik –
Der neue geisteswissenschaftliche Campus
Das Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1921/22 führt also erstmals ein regelmäßiges Unterrichtsangebot zur finnischen Sprache auf. Die Veranstaltung firmierte unter dem unscheinbaren Namen „Finnische Übungen“ und wurde von dem frisch nach Greifswald an das Nordische Institut berufenen Lektor Arvid Rosenqvist abgehalten.
Helsingin Sanomat vom 10. Oktober 1921
Übersetzung:
Finnische Abteilung des Nordischen Instituts.
Mag. Rosenqvist als Lektor für finnische Sprache eingestellt.
Greifswald, 10. Okt. (STT.) Laut Mitteilung des Nordischen Instituts der Universität Greifswald hat das preußische Bildungsministerium Mag. Rosenqvist als Lektor für finnische Sprache an der Universität angestellt. Mag. Rosenqvist ist der erste Lektor für finnische Sprache an einer deutschen Universität. Die von Prof. Braun am Nordischen Institut gegründete Finnische Abteilung soll nun zu einem eigenständigen Deutsch-Finnischen Institut umgebildet werden, dessen besondere Aufgabe in der Entwicklung kultureller und wissenschaftlicher Beziehungen nach Finnland besteht.
Für den jungen finnischen Lektor erwies sich der Lehraufenthalt in Deutschland als ein wichtiges akademisches Sprungbrett, das ihn später bis zu einer Professur für Germanistik an der Universität Turku führte. In dieser Eigenschaft nahm er übrigens 1955 dem späteren zweiten Professor für Fennistik
Pekka Lehtimäki (1994–2000) an der Universität Greifswald in dessen Studententagen seine germanistische Prüfung ab.
Auch mit der Einrichtung der Professur für Fennistik hatte man in Greifswald 1976 eine deutschlandweite Pionierleistung vollbracht. Der erste Lehrstuhlinhaber Kurt Schmidt (1977–1993) widmete sich schwerpunktmäßig den finnisch-deutschen Literaturbeziehungen und führte damit eine Tradition fort, für die Dr. Hans Grellmann bereits rund vier Jahrzehnte zuvor als Assistent und Direktor des Instituts für Finnlandkunde den auch in Finnland sehr wertgeschätzten Grundstein gelegt hatte.
Forschung heute
Heute gestalten sich die von jungen Forscher*innen vorangetriebenen Forschungsschwerpunkte am Institut für Fennistik und Skandinavistik sehr vielfältig.
Thekla Musäus, Kulturreferentin der DFG-MV, erforschte in ihrer 2019 veröffentlichten Dissertation beispielsweise das Karelienbild in der finnischen und sowjetischen Literatur in den Jahren 1930-1957.
Yvonne Bindrim indes promovierte 2019 mit einer soziolinguistischen Forschungsarbeit zu den Spracheinstellungen der finnischsprachigen und schwedischsprachigen Bevölkerung Finnlands gegenüber der jeweils anderen Landessprache. Dieses Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft großzügig gefördert.
Das gilt auch für das jüngste Promotionsprojekt, in dem Benjamin Schweitzer in den kommenden Jahren die Entwicklung der finnischen Musikfachsprache unter die Lupe nehmen wird.
Ein anderes aktuelles Forschungsprojekt wird von Bundesforschungsministerium finanziert. Es beschäftigt sich mit den vorhistorischen Kontakten zwischen finnischen und baltischen Völkern und spürt die Spuren dieser Kontakte im finnischen Wortschatz auf. Santeri Junttila, der für dieses Projekt aus Helsinki nach Greifswald kam, wertet im Rahmen seiner Wortherkunftsforschungen tausende wissenschaftlicher Quellen aus.
Die Wortherkunftsforschung (Etymologie) wurde maßgeblich durch
Sirkka-Liisa Hahmo, die dritte Professorin für Fennistik (2000–2008) in Greifswald etabliert. Ihr Schüler Mikko Bentlin war beispielsweise der erste, der den Sprachkontakt zwischen dem Niederdeutschen und dem Finnischen systematisch untersuchte und so eine ganze Reihe von Wörtern finden konnte, die sicher oder zumindest wahrscheinlich in der Hansezeit ihren Weg nach Finnland fanden. Hierzu zählen z.B. Wörter wie
ammatti 'Beruf',
rouva 'Dame, Frau' und
monni 'Wels'.
Der amtierende und insgesamt vierte Greifswalder Professor für Fennistik
Marko Pantermöller wurde 2010 berufen. Zu seinen Forschungschwerpunkten gehören die Sprachplanung und Sprachpflege, Sprachideologie und -politik, Orthografie, Übersetzungstheorie und -kritik sowie die Sprachkontakt- und Sprachwandelforschung.
Deutsch-finnischer Kulturaustausch
Neben den vielfältigen Forschungsresultaten zur Sprache und Kultur Finnlands hat die Greifswalder Finnlandkunde auch einen steten Beitrag zum deutsch-finnischen Kulturaustausch geleistet. Hierzu trug zum einen die Ausbildung von Generationen von Finnlandsachverständigen bei, die ihren sprachlichen Feinschliff durch die zahlreichen muttersprachlichen Lektoren und Lektorinnen erhielten, die Lektor Rosenqvist im Laufe der Jahre nachfolgten. Eben jene Sprachlehrenden leisteten aber auch außerhalb der akademischen Welt Entscheidendes für den Kulturaustausch.
Unvergessen ist beispielsweise das Engagement
Kaija Mengers, das sowohl mit der Gründung der Deutsch-Finnischen Gesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern als auch mit der Initiierung des Kulturfestivals
Nordischer Klang bis heute bleibende Früchte trägt. Das Festival ist neben studentischen
Übersetzungsprojekten und anderen Aktivitäten heute ein wichtiger Rahmen, in welchem junge Studierende interessante berufspraktische Erfahrungen sammeln können.
Ereignisreicher Herbst 2021
Natürlich wird der 100. Geburtstag der Fennistik im kommenden Herbst auch gebührlich gefeiert.
Die Teilnehmenden der ersten Internationalen Herbstschule in Greifswald 2017Im Rahmen eines akademischen Festaktes anlässlich des Jubiläums wird am 1. Oktober der finnischen Sprachwissenschaftlerin Kaisa Häkkinen im Beisein zahlreicher Ehrengäste die
Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät verliehen werden. Direkt davor treffen sich Masterstudierende und Promovierende aus Warschau, Prag, Köln und Greifswald zu einer mehrtägigen internationalen Herbstschule – übrigens der sechsten ihrer Art – an der Wiege der deutschen Finnlandkunde. Im Anschluss an das festliche Jubiläum versammeln sich dann die Finnischlehrenden des gesamten deutschsprachigen Raums an gleicher Stelle zu ihrer Arbeitstagung.
Das JubiläumslogoDie Greifswalder Fennistik in den Sozialen Medien:
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