DFG: Claudia, wo bist du denn gerade, während du hier antwortest?
Claudia: Derzeit bin ich in Helsinki, wo ich an der Universität als DAAD-Lehrassistentin in der Germanistik arbeite. Das umfasst ganz unterschiedliche Aufgaben: Im letzten Semester habe ich zum Beispiel ein Seminar unterrichtet, in dem die Studierenden im ersten Semester ihre mündlichen und schriftlichen Kommunikationsfähigkeiten auf Deutsch verbessert haben. Außerdem haben wir gemeinsam die Deutsche Bibliothek in Helsinki besucht und konnten dort inmitten der Fennica-Sammlung über die Bedeutung von Bibliotheken diskutieren. In diesem Semester assistiere ich Dr. Christian Rink in einem Landeskundeseminar, indem ich im Rahmen eines Projektes einige Unterrichtsstunden übernehme, und lese Proseminararbeiten aus der Germanistik Korrektur. Das ist natürlich auch aus fennistischer Perspektive interessant, da die Arbeiten von finnischen Studierenden auf Deutsch verfasst werden und man bisweilen noch erkennt, wo die finnische Konstruktion durch den deutschen Satz durchschimmert.
Neben der Tätigkeit an der Universität übernehme ich auch Aufgaben für den DAAD. Zum Beispiel werde ich Anfang April eine Online-Informationsveranstaltung zum Studium in Deutschland abhalten. Außerdem arbeite ich im Netzwerk Deutsch bei der Vorbereitung von Veranstaltungen mit, etwa dem PASCH-Tag: An diesem Tag kommen Schüler*innen aus ganz Finnland nach Helsinki, um an einer Schnitzeljagd zu verschiedenen „deutschen“ Stationen in der finnischen Hauptstadt teilzunehmen, sich auszutauschen und Vertreter*innen von deutsch-finnischen Organisationen und Firmen zu treffen. Hoffentlich spielt auch das Wetter mit!
DFG: Spannend! Vor gut drei Jahren hast du ja das Deutschland-Stipendium der DFG bekommen – hättest du dir damals ausgemalt, dass du das heute machst?
Nein, das hätte ich nicht gedacht! Vor allem den Teil mit der Lehrassistenz hätte ich nicht erwartet, da ich damals noch dachte, dass mir das Unterrichten so gar nicht liegt. Entsprechend nervös war ich dann auch, als ich meine Tätigkeit hier angetreten habe. Allerdings habe ich schnell entdeckt, dass die Nervosität völlig unbegründet war und das Unterrichten sehr interessant ist!
DFG: Bei dem Interview damals hast du erzählt, dass dich das Übersetzen ganz besonders interessierst und du schon Kurzgeschichten und Lyrik aus dem Finnischen übersetzt hast. Bist du weiterhin in dem Bereich aktiv? Und welche neuen Aktivitäten sind hinzugekommen?
Claudia: Die Übersetzungen sind bisher noch kurz geblieben. Beispielsweise habe ich Ausschnitte aus Romanen und Essays für das Jahrbuch für finnisch-deutsche Literaturbeziehungen oder Keynotes und Konzepte für Veranstaltungen übersetzt sowie Probeübersetzungen angefertigt. Kürzlich habe ich von einem Verlag auch eine Romanübersetzung angeboten bekommen, leider hat es dann aber terminlich nicht gepasst. Ich werde aber auf jeden Fall dranbleiben und derweil auch auf andere Weise dazu beitragen, finnische Literatur nach Deutschland zu bringen.
Ende des letzten Jahres habe ich zum Beispiel ein Gutachten zu einem finnischen Roman für einen Verlag geschrieben, und immer wenn ich ein für deutsche Leser*innen interessantes Buch finde, schreibe ich dazu eine kurze Rezension auf dem Scouting-Blog
Lue.Finland. Zuletzt habe ich dort zum Beispiel das queere Jugendbuch „Ihana“ (Wunderbar) von Dess Terentjeva vorgestellt, das ich unbedingt empfehlen kann!
DFG: Wenn wir gerade bei Literatur sind: welche Bücher/ Werke haben dich zuletzt besonders beeindruckt und würdest du zum Lesen empfehlen?
Claudia: Neben dem schon erwähnten „Ihana“ habe ich gerade „Veljelleni“ (An meinen Bruder) von E.L. Karhu gelesen. In diesem Roman erzählt eine eigenbrötlerische junge Frau von ihrem Leben, das sie von anderen Menschen kaum beachtet und nahezu ausschließlich im Orbit ihres allseits beliebten Bruders verbringt. Die schonungslos ehrliche, manchmal sogar böse Erzählstimme hat mich sehr beeindruckt, ebenso die Art, auf die Karhu den langsamen Prozess beschreibt, in dessen Verlauf die Frau ihren Selbstwert erkennt und den Schatten des Bruders hinter sich lässt. Wer gerne einen introspektiven Roman über eine unverblümte Antiheldin lesen möchte, dem kann ich das Buch auf jeden Fall empfehlen.
2019 ist außerdem Juhani Karilas Roman „Pienen hauen pyydystys“ erschienen, der als Vertreter des Magischen Realismus beschrieben wurde und den Kalevi Jäntti-Preis gewonnen hat. Die Geschichte um eine Frau, deren fast schon zwanghafter Angeltrip in ihr Heimatdorf in Lappland zu einem Kampf mit mythischen Wesen und der eigenen Vergangenheit wird, war wirklich ein tolles Leseerlebnis. Entsprechend habe ich mich auch sehr gefreut zu erfahren, dass die deutsche Übersetzung in diesem Jahr als „Der Fluch des Hechts“ bei Homunculus erschienen ist! Wer dagegen (oder noch dazu) ein spannendes Sachbuch mit Porträts von Frauen lesen möchte, die im Geschichtsunterricht bisher garantiert zu kurz gekommen sind, kann sich auf die deutsche Übersetzung von Maria Petterssons Buch „Historian jännät naiset“ (Außergewöhnliche Frauen der Geschichte) freuen, die bei Droemer Knaur erscheinen wird. Laut der Autorin ist übrigens ein ähnliches Buch zu finnischen Frauen bereits in Vorbereitung.
Und schließlich hat Stefan Moster natürlich durch die Übersetzung von „Alastalon salissa“ („Im Saal von Alastalo“, erschienen bei mare) in diesem Jahr ein großes Epos der finnischen Literatur auch deutschsprachigen Leser*innen zugänglich gemacht – für alle Finnlandfans also eine ausgezeichnete Gelegenheit, Volter Kilpis berühmtes Werk kennenzulernen!
DFG: Wo hast du in den letzten Jahren mehr gelebt, in Finnland oder Deutschland? Was hast du in der Zeit neues in und über Finnland (oder auch Deutschland) entdeckt und erfahren?
Durch mein Praktikum bei FILI – Finnish Literature Exchange 2019/20 und den jetzigen Aufenthalt in Helsinki hat sich mein Leben in den letzten Jahren relativ gleichmäßig auf Finnland und Deutschland verteilt. Finnland ist mir also schon recht vertraut, aber natürlich gibt es immer wieder etwas Neues zu lernen: Während meines derzeitigen Aufenthalts hier habe ich zum Beispiel bei einem Vortrag von Unni Leino einiges zur Geschichte der Heraldik und Blasonierung in Finnland erfahren. Und bei einem Blockflötenworkshop der Folk Flute Academy Finland habe ich zum ersten Mal von dem finnischen Instrumentenbauer Pentti Mäkelä gehört, der sein ganzes Leben lang auf der Suche nach der perfekten Flöte war und dabei einzigartige Instrumente aus unterschiedlichen Materialien gebaut hat. Wie etwas aus einem Tolkien-Buch oder aus den Händen eines mystischen Waldwesens, so beschrieb uns der Musiker und Instrumentenbauer Gonçalo Cruz seinen ersten Eindruck von diesen Flöten, die wir dann auch selbst spielen durften – leider nur seine ersten Entwürfe eines Nachbaus, denn die Originale sind wertvolle Unikate. Aber auch so war es eine tolle Gelegenheit, ein Stück finnischer Musikgeschichte (und finnischen Erfindergeistes und sisu) so unmittelbar zu erleben!
DFG: Und wie ist es, als fließend Finnisch sprechende Deutsche in Finnland zu wohnen, sorgt das manchmal für Erstaunen?
Claudia: Als Finnisch sprechende Deutsche bekommt man natürlich oft die Frage gestellt, warum man sich ausgerechnet diese Sprache ausgesucht hat – Finnisch sei doch eine so kleine und dazu noch so schwierige Sprache. Auf der anderen Seite haben viele Finn*innen selbst Deutschkenntnisse oder Bekannte und Verwandte in Deutschland, sodass sich fast immer ein spannendes Gespräch über die Beziehung zwischen den beiden Ländern und Sprachen ergibt!
DFG: Was hast du nach der aktuellen Station vor, weißt du schon wie es weitergeht oder verrätst uns deinen großen Zukunftstraum?
Claudia: Nach der Lehrassistenz in Helsinki w5erde erst einmal nach Deutschland zurückkehren und im Bibliothekswesen arbeiten, nebenbei natürlich weiterhin als Übersetzerin und auch Finnischlehrerin. Ich weiß aber schon, dass ich während der Tätigkeit in der Bibliothek auch ein Praktikum in Finnland absolvieren kann, sodass mein Abschied von Finnland im Sommer hoffentlich kein sehr langer wird. Mein Ziel für die Zukunft ist außerdem eine Promotion in der Fennistik, speziell im Bereich der kontrastiven Linguistik und Übersetzungswissenschaft. Ein Leben ohne Finnisch kann ich mir einfach nicht vorstellen.
DFG: Weiterhin ganz viel Erfolg und alles Gute wünsche ich dir dabei! Und ich hoffe natürlich, dass wir uns auch in Zukunft immer mal wieder im deutsch-finnischen Kontext begegnen.
Das Interview wurde schriftlich im April 2022 geführt.
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