Am Nachmittag des letzten RockHarz-Festivaltages stand Tuomas Saukkonen mit Wolfheart auf der Bühne, später sind wir mit ihm verabredet und treffen ihn am Holzhäuschen im Artist Village, das glatt ein wenig an ein finnisches mökki denken lässt. Mit Schaukelstuhl und Ventilator lässt sich trotz Hitze ein entspanntes Gespräch führen. Auf dem
RockHarz in Ballenstedt waren wir, Jana, Claudia und Susanne von der DFG, mit der Mission unterwegs, die hier auftretenden finnischen Bands zu sehen und zu interviewen.
Unser Interview mit Jonne Järvelä und Sami Perttula von Korpiklaani gibt es
hier zu lesen.
Das Interview führt Claudia Nierste, ehemalige Deutschland-Stipendiatin der DFG, auf Finnisch.
Interview: Claudia Nierste
Übersetzung und Fotos: Susanne Triesch
DFG: Für diejenigen, die Wolfheart vielleicht noch nicht kennen: Kannst du in wenigen Worten beschreiben, was ihr für Musik macht?
Tuomas: In wenigen Worten: finnischen Wintermetal. Mit der Beschreibung kann vielleicht erstmal niemand etwas anfangen, aber wenn man die Musik hört, versteht man sicherlich, was ich damit meine.
DFG: Eure Musik ist also wie der finnische Winter…
Tuomas: Genau: schön, aber ein bisschen unwirtlich.
DFG: Was wollt ihr mit eurer Musik bei den Hörer*innen auslösen?
Tuomas: Die Frage stellt sich erst, wenn alles aufgenommen ist. Also erst dann, wenn die Musik fertig produziert und veröffentlicht ist, erst dann denkt man darüber nach, was für Reaktionen man bekommt. Alles davor macht man für sich selbst. Bei mir ist es interessanterweise so, dass ich für jeden Song eine Art Filmplakat vor meinem geistigen Auge sehe, und zu dieser visuellen Idee schreibe ich dann die Musik, wie einen Soundtrack. Und dabei bin ich eigentlich so tief in meiner eigenen Gedankenwelt, dass mir die Frage überhaupt nicht in den Sinn kommt, was die Musik mit anderen macht. Oft denke ich nicht einmal daran, was meine Bandkollegen dazu sagen werden.
Außerdem nimmt es ja gar kein Ende, wenn man anfängt, sich darüber Gedanken zu machen, wie andere die Musik finden. Dann versucht man nur noch, irgendeinem Fan zu gefallen. Wenn einer auf Facebook schreibt „die Melodie ist klasse!“ und jemand anderes auf Instagram „das Lied hat den besten Text“, wenn man sich das zusammenpuzzelt, nach dem Motto „so muss ich meine Musik machen“, dann bringt man nichts Neues und schon gar keine Kunst hervor.
DFG: 2017 habt ihr mit der Single „The Black Light“ einen Akustik-Track herausgebracht. Plant ihr, noch mehr Akustik-Musik zu machen? Wie spielen sich solche Tracks auf Konzerten im Vergleich zu Musik mit E-Gitarren?
Tuomas: Da wir zwei Sänger haben, die sich auf Klargesang verstehen, können wir inzwischen auch längere akustische Passagen einbauen. Unser letztes Album ist allerdings noch so frisch, dass ich noch nicht sagen kann, was als Nächstes kommt. Live spielen wir aber keine der komplett akustischen Sachen, auf einer Festivalbühne wie hier passt das einfach nicht. Hier geht es mehr darum, Spaß zu haben, Akustikstücke dagegen verlangen nach einer viel ernsteren und ruhigeren Atmosphäre.
DFG: Das Artwork für die Alben entsteht bereits seit dem dritten Album in Kooperation mit Nikos Stavridakis aus Griechenland. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit? Woher kommt die Inspiration für die bildliche Gestaltung?
Tuomas: Die Kooperation hat sich durch unser erstes Konzert in Griechenland ergeben. Nikos hatte dafür die Plakate gestaltet, und als ich die gesehen habe, war ich ganz begeistert und wir haben uns vorgenommen, weiter zusammenzuarbeiten. Solche „Wir sollten mal was zusammen machen!“-Gespräche hat man ja auf Tour oft und meist bleibt es dann irgendwie in der Luft hängen. Hier hat es aber tatsächlich geklappt und inzwischen macht Nikos das Artwork für alle meine Bands, bisher insgesamt 18 Alben. Das Besondere an dieser Zusammenarbeit ist: Ich hatte ja schon erzählt, dass ich bei der Musik ein Filmplakat vor mir sehe und eine ganz klare visuelle Vorstellung habe, wovon ein Song handelt, und das erläutere ich Nikos. Häufig haben meine Vorstellungen mit Natur zu tun, und da Nikos aus Griechenland kommt, hat er da oft völlig andere Assoziationen. Schnee, Eis und Winter – ich habe mittlerweile 43 Winter erlebt und gesehen, da ist für mich nichts Neues oder Exotisches mehr dabei. Nikos aber, der irgendwo auf einer griechischen Insel wohnt, sieht das ganz anders vor sich und was er daraus macht, hebt das Ganze ein Level höher. Meine Fantasie reicht dafür gar nicht aus, weil es für mich ja auch Alltag ist. Für ihn ist es noch mehr etwas Außergewöhnliches und er schafft es, das in eine eigene Sphäre zu bringen.
"Ich kann nicht anders, als die Musik in ein Album zu pressen."
DFG: Dein Facebook-Account nennt dich eine „One man metal factory“, und das erste Wolfheart-Album hast du fast ganz allein aufgenommen. Vor Wolfheart warst du bei Before The Dawn, Black Sun Aeon, Dawn Of Solace and RoutaSielu aktiv. Würdest du dich als Workaholic bezeichnen?
Tuomas: Vorweg: Die Sache mit der „One man metal factory“ rührt eigentlich nur von einer E-Mail-Adresse her, die ich mal verwendet habe, und hat sich irgendwie verselbstständigt. Das war am Anfang nur ein Insider-Witz, ich bezeichne mich nicht ernsthaft selbst so. Als Workaholic sehe ich mich auch nicht. Also, nun ja, ich habe inzwischen 27 Jahre im Gartenbau gearbeitet, von daher kenne ich auch die alltägliche Arbeitswelt. Das ist jetzt der erste Sommer in vielen, vielen Jahren, in dem ich nicht dieser Arbeit nachgehe – okay, ich bin doch ein Workaholic, aber eben eher im Gartenbau, nicht mit der Musik. Die Musik ist für mich keine Arbeit in dem Sinne, sondern eher etwas, was ich in meiner Freizeit mache. Es stimmt schon, ich veröffentliche extrem viel, mehr als überhaupt sinnvoll ist. Mir wird dann gesagt, dass zwei Alben im Jahr rauszubringen keinen Sinn ergibt, das zweite kann dann gar nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, dass ich da nennenswert Reaktionen oder Einnahmen erwarten kann. Aber darum geht es mir auch nicht, das ist für mich einfach die Art, mein Leben zu leben. Und ich kann nicht anders, als die Musik in ein Album zu pressen, es bleibt sonst so unvollständig, wenn es nicht in diese Form kommt.
DFG: Zu einem ganz anderen Thema: Im Sommer 2022 hat die DFG einen Saunawassermarathon veranstaltet, bei dem Aufgusswasser von Tampere bis nach Stuttgart zum Weltsaunakongress transportiert wurde. Viele Menschen in Deutschland haben so die finnische Saunakultur besser kennengelernt und gefeiert. Was bedeutet Sauna für dich? Kommt man in der Sauna besonders gut auf neue musikalische Ideen?
Tuomas: Sauna ist am besten, wenn einem keine einzige Idee kommt. In die Sauna zu gehen, egal wo, wenn man sich irgendwo ein Mökki mietet oder so, ist ein kleines Ritual. Der ganze Vorgang, die Sauna anzuheizen, Wasser zu holen, in die Sauna zu gehen und so weiter, das kann man über Stunden ausdehnen und man denkt dabei einfach an gar nichts. Anders sieht es nur aus, wenn man mit anderen Leuten zusammen in die Sauna geht, das ist für finnische Männer einer der wenigen Orte, an denen sie sich anderen gegenüber öffnen. Da gibt es ja sogar Filme drüber! Und ganz ehrlich, auch bei diesem heißen Wetter jetzt, wenn hier eine Sauna wäre, ich würde sofort reingehen.
DFG: In Deutschland sind Saunen ja gar nicht so verbreitet und es ist nicht einfach, eine wirklich gute Sauna zu finden.
Tuomas: Ja, das finde ich auch. Oft ist es so: Wenn ein Hotel anpreist, dass es eine Sauna hat, dann ist es so eine Infrarot-Sauna – eine völlig frevelhafte Erfindung. Oder in Schwimmbädern, da darf man in der Sauna dann nicht selbst den Aufguss machen – was soll das?! Wenn man es dann doch macht, beschweren sich die Leute, dass es zu feucht ist, dabei ist genau das ja der Sinn… Das ist echt spannend, dass es in beiden Ländern Saunen gibt, es dann aber doch so unterschiedlich zugeht.
DFG: Finnland wird immer wieder als Heimat skurriler Wettbewerbe dargestellt, kürzlich war z.B. von den Heavy Metal Knitting World Championships in Joensuu die Rede oder auch von der Luftgitarren-WM. Was denkst du, wie kommt es, dass gerade in Finnland solche ungewöhnlichen Wettbewerbe entstehen, und wie findest du es, dass Finnland international als Land der skurrilen Sportarten und Wettbewerbe bekannt ist?
"In Finnland erfinden wir so viele absurde dumme Sachen, dass es schon wieder positiv ist."
Tuomas: Also meine Theorie dazu ist folgende: Wenn man die finnische Geschichte mit der von anderen Regionen Europas vergleicht, mit Mitteleuropa oder auch mit den Nachbarn in Skandinavien, dann hatten die Norweger ihre Wikingerkultur, die Schweden ein Königreich – dort hatte sich vor der Christianisierung über lange Zeit schon so viel entwickelt. In Finnland dagegen war die Kultur lange sehr einfach. Im positiven Sinne provinziell. Noch vor 200 Jahren war Finnland ein reines Agrarland, eine Gesellschaft aus Bauern. An manchen Festtagstraditionen merkt man das heute noch ein bisschen, zu Weihnachten und Juhannus zum Beispiel. Na ja, und wenn einem inmitten der Moore langweilig ist und man ein, zwei Bier trinkt, kann man schon mal auf die Idee kommen, Schlammfußball zu erfinden. Und der nächste sagt dann, lass uns einen Wettbewerb draus machen. Das sind so finnische, so einfache und lustige Sachen, die für uns in Finnland erstmal gar nicht lächerlich klingen. Das wird es erst, wenn die Aufmerksamkeit von außen kommTuomas: „Die Finnen haben Wettbewerbe im Frauentragen!“ Überwiegend ist es aber eher positive Aufmerksamkeit, hoffe ich zumindest, nicht dass wir als komplette Idioten gesehen werden… Andererseits ist es auch längst kein rein finnisches Ding mehr, beim Wettbewerb im Mückenerschlagen kommt zum Beispiel ein Großteil der Teilnehmenden aus anderen Ländern. Diese Sachen finden ja nicht in einer finnischen Blase statt, sondern sind total international, wenn zum Beispiel beim Schlammfußball dann eine polnische gegen eine spanische Mannschaft spielt. In Finnland erfinden wir so viele absurde dumme Sachen, dass es schon wieder positiv ist.
DFG: Neben diesen etwas absurd-komischen, aber trotzdem positiven Dingen: Gibt es noch etwas anderes Finnisches, von dem du dir wünschen würdest, dass es in der Welt etwas bekannter wäre?
Tuomas: Ich weiß nicht... Ich würde sagen, Finnland ist erstaunlich gut bekannt im Ausland, wenn man bedenkt, wie wenig Menschen dort wohnen und auf welchem Fleckchen Erde es liegt. Musik und Sport sind unsere Exportprodukte, besonders Leichtathletik, Eishockey und Wintersport und Metal-Musik. Deren Bekanntheitsgrad ist wirklich hoch, denke ich. Und es ist ja auch wichtig, dass nicht übertrieben wird und daraus Karikaturen entstehen. Auf der anderen Seite gibt es auch einiges typisch Finnisches, das eher nicht so vorteilhaft ist, eine gewisse Sturheit und Verschlossenheit zum Beispiel, auch wenn man sogar darin eine positive Kehrseite finden kann. Das sind auch Dinge, die uns zu Finnen und Finninnen machen, aber vielleicht nicht die, mit denen man Finnland im Ausland vermarkten sollte... Aber insgesamt finde ich, dass unsere Stärken sehr wohl gesehen werden.
DFG: Die finnische Sprache dagegen ist vielleicht noch nicht so bekannt in der Welt…
Tuomas: Die zweitschwerste Sprache der Welt! Ich habe in der Schule in Englisch und Schwedisch bessere Noten bekommen als in meiner Muttersprache Finnisch, weil ich durch die Grammatik einfach nicht durchgestiegen bin. Ich sehe darin keinerlei Logik, anders als im Deutschen, das ich eine Weile gelernt habe, das erschien mir extrem logisch aufgebaut. Für Finnisch aber musste ich feststellen, dass ich es als Muttersprachler nach den Maßstäben des Lehrplans nicht einmal korrekt beherrsche. Da habe ich dann aufgegeben. Mit den ganzen Dialekten, und dann unterscheidet sich die gesprochene Sprache so stark von der geschriebenen, wie will man das denn jemandem beibringen! Die verschiedenen Dialekte verstehen ja wir Finnen schon untereinander nicht immer.
DFG: Welches finnische Wort oder welchen finnischen Satz sollte man denn als deutschsprachiger Wolfheart-Fan oder ganz allgemein unbedingt kennen?
Tuomas: Auf jeden Fall kein Schimpfwort! Ganz oft wird man ja gefragt, was irgendein Schimpfwort auf Finnisch ist, und irgendwie ist das auch lustig. Aber inzwischen habe ich „perkele“ in allen Akzenten dieser Welt gehört, und ich finde, das braucht man wirklich nicht zu lernen. „Kiitos“ ist dagegen vielleicht ein gutes Wort, das man kennen sollte. Wir sagen das in Finnland gar nicht so häufig, man bedankt sich oft auf andere, wortlose Weise, mit einem Kopfnicken oder so. Wenn jemand aus dem Ausland ankommt und einem Finnen auf Finnisch mit „Kiitos!“ dankt, dann steckt da ganz viel Bedeutung drin. Das ist viel besser als „perkele“, denn damit kommuniziert man gar nichts. Auf ein „kiitos“ dagegen reagiert mit Sicherheit jeder positiv.
DFG: Zurück zur Musik und zu unserer letzten Frage: Was sind nach dem Rockharz weitere Gelegenheiten, euch in Deutschland live zu sehen?
Tuomas: Wir sind noch auf dem Summerbreeze, das ist unser letztes Festival hier diesen Sommer. Im Herbst sind wir dann auf Europa-Tournee und spielen im November neun Konzerte in Deutschland. Durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine war es nicht gerade leicht in letzter Zeit mit Touren in Mitteleuropa, aber hoffen wir das Beste für die kommende Tour diesen Herbst.
DFG: Ganz vielen Dank für das Interview!
Tuomas: Gern geschehen und euch auch vielen Dank!
Sehr schön!! Wer Tuomas Saukkonen in Aktion erleben möchte, hat im Herbst Gelegenheit dazu, Wolfheart tourt im November mit der "King Of The North Tour 2023" durch Deutschland. Support u.a. Before The Dawn - also voraussichtlich eine Doppelschicht für Tuomas als Sänger/Gitarrist (Wolfheart) und Schlagzeuger (Before The Dawn)...