Am neunten Juni ist es so weit: Finnland wählt, ebenso wie Deutschland, seine Abgeordneten zum Europäischen Parlament. Traditionell ist die Wahlbeteiligung bei den EU-Wahlen im Verhältnis zu den anderen Wahlen niedrig: Während der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahlen Anfang dieses Jahres eine Wahlbeteiligung von 75,0 Prozent vorweisen konnte, lag der Wert bei den letzten EU-Wahlen im Jahr 2019 bei gerade einmal 42,7 Prozent. Selbst bei den 2022 erstmals stattgefundenen und somit noch nicht stark etablierten Regionalwahlen, welche die demokratische Selbstverwaltung der beispielsweise für die Gesundheitsversorgung zuständigen Wohlfahrtsgebiete (finn. hyvinvointialue) stärken sollen, lag die Wahlbeteiligung mit 47,5 Prozent höher. Wie auch in Deutschland, ist das Interesse an den EU-Wahlen in Finnland also unterdurchschnittlich – trotz des großen Einflusses von EU-Gesetzgebung auf nationales Recht.
Steigt die Wahlbeteiligung?
Grund zur Hoffnung auf eine steigende Wahlbeteiligung geben jedoch die Vorabwahlen; eine Stimmabgabe vor dem eigentlichen Wahltermin war bis zum vierten Juni möglich. Nach bisherigen Berechnungen ist die Wahlbeteiligung in der Vorabwahl etwas höher als 2019. Ob sich das auch in einer höheren Wahlbeteiligung insgesamt niederschlagen wird, bleibt jedoch abzuwarten: Der finnische Rundfunk
Yle berichtet, dass eine gut angenommene Vorabwahl häufig zu einem weniger aktiven Wahlverhalten am Wahltag selbst führt – im Zweifel kann auch warmes Wetter am Wahltag die die Menschen vom Gang zur Wahlurne abhalten.
Für die finnische Wählerschaft gäbe es dabei Anlass, die EU-Wahl ernst zu nehmen: Finnland schickt in der kommenden Legislatur 15 Abgeordnete ins Europaparlament. Das ist zwar deutlich weniger als die 96 aus Deutschland, das Gewicht einer finnischen Stimme ist jedoch etwa doppelt so hoch wie das einer deutschen: während ein deutsches Mitglied des Europäischen Parlamentes (MdEP) über 800.000 Personen vertreten muss, sind es bei einem finnischen MdEP nur rund 400.000 Personen – kleinere Mitgliedsstaaten sind zu Wahrung ihrer Interessen im EU-Parlament vorsätzlich überrepräsentiert.
EU-Themen bewegen die Menschen
Und auch viele Themen, die die Menschen in Finnland bewegen, sind vielmals sehr europäisch geprägt. Beispiel Zuwanderung: Die rechtskonservative Regierung Finnlands macht sich auf EU-Ebene für das im Vereinigten Königreich bereits etablierte Ruanda-Modell stark, wonach Asylverfahren in Drittstaaten verlagert werden sollen. Bei ihrem jüngsten Finnlandbesuch darauf angesprochen, hielt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dagegen, dass erst kürzlich strengere Asylverfahren auf EU-Ebene beschlossen wurden. In der finnischen Politik wird das Ruanda-Modell kontrovers diskutiert und sieht sich in der linksgeprägten Opposition starker Kritik ausgesetzt.
Wenngleich nicht in der gleichen Ausprägung wie in Deutschland, sind auch Themen rund um einen erwarteten Rechtsruck und der Schutz der Demokratie Themen im finnischen Europawahlkampf. Wie
Yle unter Berufung auf einen Politikforscher berichtet, waren die fünf Jahre der nun auslaufenden Legislatur von großen Krisen geprägt – die Coronapandemie, der Angriffskrieg auf die Ukraine und Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels führten zu einer Überforderung der Menschen. Kombiniert mit steigenden Preisen und Fehlentscheidungen der traditionellen Parteien bildet dies den Nährboden für populistische und extremistische Parteien – und beschwingt damit auch autoritäre Denkweisen. Auch von der Leyen bekräftigte bei Ihrem Besuch gegenüber der finnischen Presse, wie sehr der gesellschaftliche Zusammenhalt, die Sicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union unter Druck stehen – sowohl von außen als auch von innen. Ihr Appell: wer ein starkes Europa will, sollte wählen gehen, um nicht andere über die eigene Zukunft entscheiden zu lassen.
Umfragen sehen die Sammlungspartei in Führung
Finnland hat in der künftigen Legislatur einen Platz mehr als bisher im Europäischen Parlament. Dieser zusätzliche Sitz und die sich wandelnde Wählergunst bringen nach der jüngsten
Umfrage der Tageszeitung Helsingin Sanomat Veränderungen in der Zusammensetzung der finnischen Europaabgeordneten mit sich: Die liberal-konservative Sammlungspartei (Kokoomus) von Ministerpräsident Petteri Orpo könnte nach der Wahl als Gewinner dastehen und mit vier Sitzen einen mehr als bisher bekommen (21,6 Prozent Zustimmung). Die Sozialdemokraten könnten mit ihren 19,0 Prozent Zustimmung ebenfalls einen Sitz dazugewinnen und kämen dann auf drei. Im Vergleich zur auslaufenden Legislatur unverändert blieben die rechtspopulistischen Basisfinnen (Perussuomalaiset) und die liberal-landwirtschaftliche Zentrumspartei (Keskusta) mit je zwei Sitzen, sowie das Linksbündnis (Vasemmistoliitto) mit einem Sitz. Sitze verlieren würden sowohl die Grünen, die gemäß der Umfrage dann nur noch zwei statt drei Sitze hätten, und die Schwedische Volkspartei RKP der finnlandschwedischen Minderheit, die den Berechnungen von Helsingin Sanomat zufolge dann gar keinen Sitz mehr im Parlament hätte. Dort zeigt man sich jedoch noch optimistisch, durch die in der Umfrage nicht berücksichtigten Stimmen der Åland-Inseln doch noch ins Parlament zu kommen. Ein Sitz würde nach aktueller Umfragelage auch noch auf ein Wahlbündnis aus Christdemokraten und der kleinen Mitte-Rechts-Partei Liike Nyt entfallen.
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