Viele Finnland-Erlebnisse beim 33. Nordischen Klang in Greifswald
Bereits seit 1992 bringt das Kulturfestival Nordischer Klang jährlich Musik und Kunst aus den nordeuropäischen Ländern nach Greifswald. Ob KI-Kunst, Jazz oder Tango – finnische Kultur war auch dieses Jahr wieder vielfältig vertreten.
von Jonathan Pritzlaff , 19.08.2024 — 0 Kommentare
Von Sabrina Julius und Flemming Hahn
Schon vor zehn Jahren hatte Jussi Lahtinen das Greifswalder
Festival besucht, als er den damals erstmals ausgeschriebenen Wettbewerb für
das Festivalplakat gewonnen hatte. In etwa dieser Zeit begann seine Arbeit mit
dystopischen Bildcollagen von fiktiven Stadtlandschaften mit realen
Architekturfragmenten aus Tampere, Helsinki und Ost-Berlin. Der renommierte
Künstler ließ sich vom Stummfilmklassiker Metropolis, von der Kultur des
Unheimlichen der deutschen Zwischenkriegszeit und von den Modernismen der
DDR-Architektur inspirieren. Ähnliche Ansätze zur Schaffung von
Architekturfantasien finden sich bereits im 18. Jahrhundert, zum Beispiel in
der Grafikserie Carceri d’invenzione des italienischen Künstlers Giovanni
Battista Piranesi oder auch in den 1920er und 1930er Jahren bei der
dadaistischen deutschen Collagenkünstlerin Hannah Höch. Beim Nordischen Klang 2024
präsentierte Lahtinen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz eine
"Kunstmaschine" die fotografierte Architekturfragmente aus Greifswald
immer wieder neu digital kombinierte. Jeweils nur für paar Sekunden erschienen
auf mehreren Stelen schwarz-weiße, verspielte Stadtlandschaften, die alle
vollständig verlöschten, bevor sie von der KI neu zusammengesetzt wurden. Die Fotografien,
die die KI dazu benötigte, erhielt Jussi Lahtinen von der Grafikdesignerin
Wally Pruß, die Greifswald in eleganter Ästhetik abgebildet hat. Zur
Ausstellungseröffnung hielt der finnische Künstler einen Vortrag, in dem er die
Technik der KI erklärte und die aufkommenden Fragen zu dieser Art von Kunst –
unter anderem zum Urheberrecht und der Rolle des Betrachters – diskutierte. Auffällig
bei dieser Veranstaltung war der erstaunlich hohe Anteil an älteren Gästen, die
sich wissbegierig und voller Offenheit auf die moderne Form von Kunst und der
künstlichen Intelligenz einließen.
Mikko Fritze ist seit Mitte 2021 Leiter des
Finnland-Instituts in Deutschland. Das Institut fungiert unter anderem als ein
nationales Kulturvermittlungsinstitut, das seit der EU-Erweiterung vor 20
Jahren auch auf eine verstärkte internationale Vernetzung im Kulturtransfer
reagiert. Diese Situation stellte er in einem Podiumsgespräch anschaulich vor.
Unter dem Titel Crossing Borders: The internationalization of the Northern
European cultural scenes in the last 20 years bot die Gesprächsrunde, zu der
auch die estnische Jazzmusikerin Rahel Talts, der in den USA geborene
Perkussionist für Neue Musik Owen Weaver sowie der künstlerische Leiter des
Nordischen Klangs Frithjof Strauß eingeladen waren, einen spannenden und facettenreichen
Austausch. Rahel Talts erzählte zum Beispiel aus ihrer persönlichen
Lebensgeschichte und wie befreiend es für sie war, in Dänemark ihre Musikausbildung fortzusetzen,
nachdem sie in ihrer Heimat klassischen Unterricht im sowjetischen Stil erfahren
hatte. Zu diesem Thema äußerte sich auch Mikko Fritze, der von seiner Zeit als
Leiter des Goethe-Instituts in Estland berichtete – auch seine Kinder hatten
dort strengen Musikunterricht voller Drill erlitten. Weitere aufschlussreiche
Themen waren die skandinavische Selbstauffassung vom Jantegesetz, das von
kollektiver Bescheidenheit und Kontrolle handelt, sowie lebensweltliche Fragen.
Nach ihrer Tournee in Mitteleuropa im Quartett Flock des
Pianisten Iiro Rantala begeisterte die Band der Pianistin und Sängerin Maja
Mannila erneut das Publikum in Deutschland. Dieses Mal spielten sie als Trio unter
anderem am 04.05. in der Münchener Unterfahrt, gefolgt von einem Auftritt am
07.05. im A-Trane Berlin – zwei der
renommiertesten Jazzclubs Deutschlands. Am Tag darauf folgte ihr gelungenes
Konzert in der Jazznacht des Nordischen Klangs. Als Mitglieder der
finnland-schwedischen Bevölkerungsgruppe zählen sie sich voller Stolz zu den Mumin-Finnen.
Offen und humorvoll wie die Mumintrolle, zeigte sich das Trio bei seinem
Auftritt, das durch ihre charmante Art, rasende Läufe am Bass und einem
treibenden Schlagzeug dem Konzert eine aufregende Stimmung verliehen. Bei ihrem
Auftritt kam besonders das funky E-Piano Mannilas zur Geltung. Ihr Gesang kam
mit einem ähnlich starken Soul-Feeling herüber, wie es auch die estnische
Sängerin Rita Ray beim Eröffnungskonzert des Festivals entzündete.
Beim Caspar-David-Friedrich-Konzert der Greifswalder Partnerstädte
in der Aula begeisterte Esa Ylönen aus Kotka mit finnischen Klavierwerken und
Tango aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Er performte unter anderem El Choclo und
verzierte es mit Zitaten aus anderen Stücken, wodurch er eine neue und vor
allem witzige Interpretation des Stückes schuf. Unterhaltsam, akrobatisch,
abwechslungsreich – und stets mit einem Lächeln im Gesicht, auf und hinter der
Bühne.
Tjango, dessen Name eine Mischung des Gipsy
Swing-Begründers Django Reinhardt und an den Tanzmusikstil Tango ist, spielte
beim Folk & Swing Abend bei vollem Haus. Trotz der am Vortag erweiterten Publikumskapazität
waren die Karten vollständig ausverkauft. Tjangos Musik hatte Noten der
Melancholie und brachte swingende Mollmelodien. Trotz des Platzmangels bewegte
sich das Publikum fast ausnahmslos im Takt und tanzte, soweit es möglich war, bis
auf die Empore hinauf Tango. Die Stimmung entsprach oft dem finnischen Tango. Tjango
hatte auch brasilianische Klänge im Repertoire und spielte unter anderem eine Hommage
an die brasilianische Akkordeonlegende Sivuca. Das Publikum war schnell von der
Band überzeugt, sodass einzelne Gäste bereits während des Konzerts sich ihre
CDs sicherten, bevor der große Andrang im Anschluss des Konzerts kam.
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